Form, Schöpfung, Abstraktion: Formalismus in Philosophie, Literatur und Kunst

Nach Walter Benjamin sei nur durch die ‚Eiswüste der Abstraktion‘ hindurch bündig zu einem konkreten Philosophieren zu gelangen. Die Lehrveranstaltung geht solchen Positionen in Philosophie, Literatur und Kunst v.a. des 19. und 20. Jahrhunderts nach, die einen grundlegenden Akt der Abstraktion als Voraussetzung von Kreativität, Schöpfung und Erfindung begreifen. In seinen unterschiedlichsten Spielarten als das Andere von Sinn und Inhalt kann der Begriff der „Form“ als dieses fruchtbare Element der Abstraktion angesehen, und die an seinem Leitfaden entwickelten Praktiken als „Formalismus“ bezeichnet werden. Die Veranstaltung gliedert sich in drei große Schritte. 1) Die philosophische Tragweite solcher Denkformen erschließt sich am besten im Spannungsfeld von Kritik und Affirmation. Wir studieren hierzu die „Vorrede“ von Hegels Phänomenologie des Geistes, die philosophisches Denken in Absetzung zu den machtvollen Strömungen ihrer Zeit in Kunst (Frühromantik, Novalis, Friedrich Schlegel u.a.) und Wissenschaften (speziell Mathematik) zu positionieren unternimmt. Für den Gegenpol des mathematischen Erkennens in der Philosophie kommt für Hegel vor allem Leibniz in Betracht, dessen Ideen wir in kurzen Texten zum Verhältnis natürlicher und formaler Sprachen betrachten. 2) Die Veranstaltung unternimmt es dann, die heuristisch an den beiden Extrempositionen herausgearbeitete philosophischen Klärungen an Begriffen der Form zu konturieren, wie sie in der Moderne (mit Vorläufern ab ca 1800) als operative Verfahren der Literatur und Kunst vorkommen. Hinsichtlich der Literatur kommt im wesentlichen eine selektive aber einflußreiche Filiation von Autoren in Betracht (Novalis, Poe, Baudelaire, Mallarmé, Valéry, Benn, Celan), die die moderne Literatur vorbereiten, begründen und für das 20.Jh entscheidend festlegen. 3) Inspiriert von den Werken eben dieser Autoren bildet sich dann im Russischen Formalismus (Sankt-Petersburg und Moskau 1913 bis ca 1930) die erste im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Theorie der Literatur und Kunst aus, die wesentlich eine Theorie der künstlerischen Form ist (unter Einbeziehung auch unmittelbar zeitgenössischer Kunst, wie Chlebnikov, Majakowski, Malevič, Kubismus, Futurismus). Hier laufen alle Fäden zusammen und werden als grundlegende methodische Optionen wichtige Entwicklungen der Geisteswissenschaften des 20 Jh (z.B. Strukturalismus und Dekonstruktion) entscheidend beinflussen. — Die Haupttexte werden vor Beginn des Seminars zur Verfügung gestellt. — Prüfungsleistungen werden in Form einer 30min mündlichen Prüfung auf der Basis eines zuvor eingereichten Thesenpapiers erbracht.



Literatur:

G.W. Leibniz, Gottfried Wilhelm Leibniz Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (1697), in: Politische Schriften (=AA VI,4), hg.v. Leibniz-Editionsstelle Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2008, S. 528-565. — Weitere kleine Texte aus dem Nachlaß zum Symbolischen Erkennen und zur Characteristica Universalis / Spécieuse Générale.

G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, hg.v.W.Bonsiepen und R.Heede, Hamburg (Meiner) 1980, (=GW Bd.9), S. 9-49 (Vorrede).

Poetologische Texte von Dichtern: Novalis, E.A.Poe, Ch. Baudelaire, St. Mallarmé, P.Valéry, G. Benn, P. Celan. Auswahl wird noch bekanntgegeben.

Texte der Russischen Formalisten I, II, (zweisprachige Ausgabe), hg.v. Jurij Striedter und Wolf-Dieter Stempel, München 1972. Darin vor allem:

Roman Jakobson, Die neueste russische Poesie. Erster Entwurf Viktor Chlebnikov, in: Texte der Russischen Formalisten, Band II: Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache, S. 19-135.

Aage A. Hansen-Löve, Der Russische Formalismus, Wien 1978/1996

Felix Philipp Ingold, Der große Bruch. Rußland im Epochenjahr 1913. Kultur · Gesellschaft · Politik, München 2000


Medialität in der zeitgenössischen Philosophie ist von großer Bedeutung, da sie die Art und Weise betrifft, wie Informationen und Erfahrungen vermittelt und wahrgenommen werden. Medien wie Technologie, Kunst, Sprache und Kultur spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie wir die Welt verstehen und uns selbst ausdrücken. Die Sinne sind in diesem Zusammenhang wichtig, da sie als Schnittstelle zwischen der Außenwelt und unserem Bewusstsein fungieren. Durch sie nehmen wir Reize auf und verarbeiten sie zu Sinneseindrücken, die dann unsere Wahrnehmung und unser Wissen prägen. In der zeitgenössischen Philosophie wird Medialität oft als ein Schlüsselbegriff betrachtet, um die Beziehung zwischen Individuum, Technologie und Realität zu untersuchen.

In diesem Kurs wird die Medialität jedoch unter dem Fokus von „Zufall und Einfall“ untersucht. Das heißt, in allen Texten geht es einerseits um die Art und Weise, wie wir sinnlich wahrnehmen, aber immer mit dem Fokus darauf, ob diese Konstellierung im Sinnlichen oder im Intelligiblen stattfinden.

Die Untersuchungen von Platon, Kepler, Galilei, Baumgarten, Kant, Peirce, Hogrebe, Mersch, Rheinberger, Gernot Böhme, und Davor Löffler zur Diskussion von Wissen aus dem Sinnlichen-Medialen, tragen auf vielfältige Weise zur philosophischen Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Erkenntnis bei. Platon beschäftigt sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Ideen und sinnlichen Erscheinungen, wobei er die Welt der sinnlichen Erfahrung von der Welt der reinen Ideen trennt. Kepler und Galilei trugen mit ihren naturwissenschaftlichen Entdeckungen zur Entwicklung einer empirischen Methode bei, die sinnliche Beobachtung und Experiment als Grundlage der Erkenntnis nutzt. Baumgarten und Kant untersuchten die Rolle der Sinne und des Verstandes bei der Erkenntnisgewinnung, wobei Kant insbesondere die Unterscheidung zwischen Anschauung und Verstand hervorhob. Peirce beschäftigte sich mit der Abduktion, einer Form des Schließens, die aus dem Sinnlich-Medialen schöpft. Hogrebe interessierte sich für die Mantik und die Intuition und Ahnung. Während Mersch eine Epistemologie des Ästhetischen schreibt, denkt Rheinberger in Spalt und Fuge über Synthese und Analyse nach. Abschließend beschäftigen wir uns Positionen der Neuen Ästhetik: Gernot Böhme und Davor Löffler über Atmosphären.